Bundesjugendring: „Jugend braucht gute Jugendpolitik“

Gute Jugendpolitik nimmt junge Menschen als ihren Ausgangspunkt, ihre Interessen als ihr Ziel.
Gute Jugendpolitik beschäftigt sich deshalb mit allem, was junge Menschen betrifft oder interessiert.
Gute Jugendpolitik vertritt den Standpunkt der Jugend, sie ist parteilich.
Gute Jugendpolitik regelt Zuständigkeiten und verbindliches Handeln, sie hat keinen Raum für leere Versprechen.
Gute Jugendpolitik ist international, europäisch, bundesweit, aber vor allem vor Ort wichtig; sie ist in Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft verankert.
Gute Jugendpolitik setzt auf selbstbestimmte und selbstorganisierte Strukturen
junger Menschen, sie braucht uns Jugendverbände und Jugendringe.

Der Deutsche Bundesjugendring fordert bereits viele Jahre eine gute Jugendpolitik. Auch wenn es die eine Jugend nicht gibt: Jugend existiert als eigenständige Lebensphase und als gesellschaftliche Wirklichkeit. Ihre Eigenlogik des Ausprobierens und der Kreativität hat gesamtgesellschaftlichen Sinn und Nutzen.

Jugendpolitik muss sich deswegen als selbstverständlich zuständig für alle Fragen und Aspekte der Diskurse verstehen, die Jugendliche jetzt oder in der Zukunft betreffen. Sie muss sich schützend und befähigend für Jugend einsetzen, sie muss Teilhabe sein und schaffen. Was bisher als Jugendpolitik umgesetzt wird, ist unzureichend und zerstückelt. Für Jugend ist niemand eindeutig zuständig. Die für Jugend relevanten Fragen werden an verschiedenen Stellen beantwortet; Gesetze, Verordnungen, (Förder-)Richtlinien, Aushandlungsprozesse und viele andere staatliche Aktivitäten sind kaum aufeinander abgestimmt. Meist ist Jugend nur Objekt von Regelungen. Selbst der Fokus im zuständigen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend liegt im Bereich Jugend sehr stark auf Jugendhilfepolitik und kreist um den Jugendschutz. Es gab den Prozess zur Entwicklung einer eigenständigen Jugendpolitik. Das allein ist bisher nicht gute Jugendpolitik, wie wir sie verstehen.

Wir begrüßen zwar die ursprünglich geäußerten Anliegen im Prozess für eine eigenständige Jugendpolitik.
Doch die politische Diskussion um Jugend und Jugendliche innerhalb dieses Prozesses versteht sich nur selten als parteilich für die Bedürfnisse und Interessen von Kindern und Jugendlichen. Sie denkt Jugend als Ressource für Wirtschaft und Gesellschaft – oder sieht sie als Problem. Wir beschreiben hier als Interessenvertretung junger Menschen unsere Idee einer guten Jugendpolitik.
Bild der Jugend und Themen guter Jugendpolitik
Es ist dringend an der Zeit, das Bild von Jugend zu korrigieren; und ausgehend von einem positiven Bild eine notwendige und bedarfsgerechte Politik zu gestalten.

Gute Jugendpolitik setzt nicht die vielen, hohen und oftmals widersprüchlichen Ansprüche der Gesellschaft bei Jugendlichen um; sie vertritt Ansprüche von Jugendlichen in der Gesamtgesellschaft. Der größte Teil der in Deutschland lebenden Jugendlichen wird mit seinen Kompetenzen, Ideen und Fragen nicht wahrgenommen. Die Probleme und Anliegen junger Menschen werden politisch nicht mit Nachdruck bearbeitet – eben auch weil ihre Perspektive nicht Grundlage und Ausgangspunkt von Jugendpolitik ist, sondern Jugendpolitik bisher Jugendliche als Objekte politischen Handelns begreift.
Jugend darf alles hinterfragen, darf Neues ausprobieren, sich Freiräume nehmen zur Selbstentfaltung. Sie braucht nicht funktionieren, sich für gegenwärtige Bedürfnisse der älteren Generationen, der Wirtschaft, der Sozialpolitik oder der Bildungspolitik einspannen lassen. Gute Jugendpolitik nimmt junge Menschen deswegen differenziert in den Blick. Sie lässt sich nicht auf Handlungsbedarfe bei einzelnen oder speziellen Gruppen reduzieren. Deshalb richtet sich die Aufmerksamkeit auf für Jugendliche wichtigen Themen. Gute Jugendpolitik schützt die Jugend vor dem Zugriff anderer Interessen, befähigt zur Selbstbestimmung und fördert die Teilhabe.

Akteure und notwendige Strukturen Guter Jugendpolitik
Wir Jugendverbände und Jugendringe im DBJR verstehen uns als Interessensvertretung für alle Jugendlichen.
Als organisierte Jugend übernehmen wir auch die Verantwortung, den Standpunkt der Jugend insgesamt in der politischen Debatte einzunehmen. Wir lassen uns nicht verpflichten, bereits selbst einen Interessensausgleich für alle gesellschaftlichen Gruppen mitzudenken. Wir sind vielmehr streitbares Gegenüber für Vertreter_innen verschiedener Politikfelder oder Interessengruppen. Interessen junger Menschen vertreten wir entschieden und selbstbewusst.

Eine eigenständige Jugendpolitik sollte Selbstorganisationen junger Menschen ernst nehmen, eben weil sie sich für sich selbst und andere zusammenschließen sowie den Sinn und Zweck ihrer Aktivitäten gemeinsam bestimmen. Die Fähigkeit zur Selbstorganisation ist Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie und ein solidarisches Gemeinwesen. Junge Menschen wollen und können ihre eigenen Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen und gemeinsam darüber bestimmen. Diese Erfahrung hat viele Menschen nachhaltig geprägt und sie bleibt für junge Menschen wichtig.

Als DBJR haben wir natürlich einen „Jugendblick“ – wir schauen auf die Welt aus der Perspektive Jugendlicher
und haben Jugend deshalb immer im Blick. Wir sind Ausdruck einer eigenständigen Jugendphase. Wenn wir agieren, ist das schon Jugendpolitik! Eine Jugendpolitik, die uns übergeht, uns nicht ausreichend beteiligt oder Parallelstrukturen etablieren will, ist keine gute Jugendpolitik.

Bis Jugendpolitik gut ist, braucht es einen langen Atem. Als Interessenvertretung, in der immer wieder die aktuelle junge Generation Verantwortung übernimmt und demokratisch legitimiert die Interessen junger Menschen vertritt, sind wir eine konstante und verlässliche Struktur. Damit Jugendpolitik strukturell verankert und abgesichert ist, muss es unbedingt Strukturen in Politik und Verwaltung geben, die klare Verantwortung für Jugendpolitik tragen und handlungsfähig sind. Die Träger der Jugendarbeit müssen so mit politischen und finanziellen Ressourcen ausgestattet werden, dass sie ihre Aufgabe als Interessenvertretung für eine gute Jugendpolitik wahrnehmen können.

Für eine gute Jugendpolitik muss niemand das Rad neu erfinden. Es gibt bereits gute Instrumente, die (wieder-)entdeckt und weiterentwickelt werden können. Der Kinder- und Jugendplan des Bundes zum Beispiel ist bereits als modernes jugendpolitisches Instrument gedacht und nicht als simples Förderinstrument.
Bundes- und Landesministerien für Jugend – und nur für Jugend – sind eine sinnvolle Struktur, wenn sie die Zivilgesellschaft einbindet. Die Jugendhilfeausschüsse existieren in Ländern und Kommunen, sie können gestärkt werden. Es ist sinnvoll, verlässliche und bekannte Strukturen in Politik und Zivilgesellschaft zu nutzen und auszubauen. Zugleich darf Neues nicht verhindert werden.

Der Jugendcheck kann ein hilfreiches ergänzendes Instrument sein, gute Jugendpolitik auf allen Ebenen
zu verwirklichen und zu stärken. Er soll ein Baukasten sein, der aus verschiedenen Elementen besteht, die nach Situation und Zeit angepasst werden können. Ein Jugendcheck sollte zum Beispiel folgende Instrumente beinhalten:

  • Eine Gesetzesfolgenabschätzung, die auf verschiedenen Ebenen Maßnahmen auf ihre Verträglichkeit prüft; ein Indikatorensystem für jugendgerechte Politik und Verwaltung, beispielsweise in der Erstellung und Umsetzung von Gesetzen und Verordnungen, wie es in der Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung angewendet wird;
  • das Festlegen von Evaluations- und Verfallsfristen für Verordnungen und Gesetze, die junge Menschen betreffen.
  • ein Verbandsklagerecht, also eine Anerkennung der Jugendverbände als Träger öffentlicher Belange mit Anhörungspflicht.

Für eine sinnvolle Diskussion über die Instrumente braucht es auch einen Ort zur Auseinandersetzung:
Auf kommunaler und lokaler Ebene heißt das für uns, bestehende Strukturen wie die Jugendhilfeausschüsse
zu stärken. Wie im Koalitionsvertrag der Bundesregierung festgehalten, beteiligen sich die Jugendverbände des DBJR mit ihren Erwartungen und Ideen bei der Entwicklung des Jugendchecks auf Bundesebene, um diesen im Sinne einer guten Jugendpolitik als wirksames Instrument zu gestalten.

Gute Jugendpolitik aushandeln
Wesentlich für eine gute Jugendpolitik ist, dass sie gemeinsam mit Jugendlichen und ihren Interessenvertretungen entwickelt wird. Das setzt eine wirksame Jugendbeteiligung voraus.

Junge Menschen  haben eine Meinung dazu, wie Bund, Länder und Gemeinden beispielsweise mit Flüchtlingen umgehen sollen, wie und wofür Politik und Verwaltung Steuermittel einsetzen, wie die Wirtschaftspolitik gestaltet werden muss. Sie können in der Landes- und Bundespolitik ihre Positionen zum demografischen Wandel oder Datensicherheit einbringen, zur Energiewende, zum Freihandelsabkommen mit den USA, zum gesunden Aufwachsen, zum Breitbandausbau und zum Zusammenleben in Europa. Sie befassen sich vor Ort nicht nur mit Skateranlagen und Spielplätzen, sondern auch mit Stadtplanung, Bürger_innenhaushalt und Schulpolitik.

Politik hat in einem demokratischen Gemeinwesen die Aufgabe, Interessen aller auszugleichen und im Sinne aller zu entscheiden. Jugendliche fallen als Menschen mit eigenen Ansprüchen oft hinten rüber, es wird für sie entschieden, nicht mit ihnen.

Gute Jugendpolitik sichert Beteiligung junger Menschen und gibt ihnen Gestaltungsmacht. Jugendbeteiligung grenzt sich ab von Talkshows, in denen Einzelmeinung und persönliche Betroffenheit zählen. Jugendliche müssen entscheiden, wer sie vertritt – nicht Politik, Medien oder Verwaltung. Ohne Frage ist das einfacher gesagt als umgesetzt. In der Jugendphase passiert so viel auf einmal und parallel: körperliche, geistige und emotionale Entwicklung, Abgrenzung von Eltern und Stärkung der Peer-to-Peer-Bindung, Suche nach Orientierung und Ausprobieren von Standpunkten – auch politischen. Das bindet Kräfte bei Jugendlichen. Es ist deswegen schlau und richtig, auf Selbstorganisation junger Menschen zu setzen und demokratisch organisierte Strukturen wie Jugendverbände und Jugendringe als wichtige Akteure ernst zu nehmen und zu beteiligen.

 

Gute Jugendpolitik machen

In diesem Sinne fordern wir als Selbstorganisation junger Menschen:

  • Gute Jugendpolitik wird mit Jugendlichen als starkes Politikfeld entwickelt, das sich ernsthaft politisch mit Interessen von Jugendlichen auseinandersetzt. Das bedeutet konkret: Alle setzen sich in der Jugendpolitik selbstverständlich parteilich für junge Menschen ein.
  • Gute Jugendpolitik nimmt konsequent die Perspektive von Kindern und Jugendlichen ein. Wenn ein Sachverhalt eine jugendpolitische Dimension hat, wird diese Dimension beleuchtet. Wir machen das bereits, alle Ressorts und politischen Ebenen sollen das auch machen. Ein guter Jugendcheck muss fester Bestandteil jeglicher Politik sein.
  • Gute Jugendpolitik nimmt Jugendliche und deren Selbstbestimmung und Selbstorganisation ernst, sie schafft wirksame Beteiligung für Jugendliche. Ohne Jugendstrukturen wie Jugendverbände und Jugendringe ist eine gute, demokratische und streitbare Jugendpolitik nicht möglich. Das bedeutet: Strukturen der Mitbestimmung wie etwa Jugendhilfeausschüsse fest zu verankern und diese jugendgerecht zu gestalten. Auch auf Bundesebene ist ein Gremium notwendig, von dem Initiativen ausgehen können und das wichtige Akteure verantwortlich einbindet.
  • Gute Jugendpolitik braucht ein Zuhause, sie braucht klare institutionelle Zuständigkeiten auf allen politischen Ebenen – von der Kommune bis zum Bund. Das bedeutet konkret mindestens: Ein  Jugendministerium mit einem_r Staatssekretär_in Jugend und einen Bundestagsausschuss
    Jugend.
  • Gute Jugendpolitik ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie muss Aufmerksamkeit erhalten, die ihrer gesellschaftlichen Relevanz entspricht.
  • Gute Jugendpolitik hört nicht an der Landesgrenze auf, sondern muss auch auf europäischer Ebene gestaltet werden. Das bedeutet konkret: Die Umsetzung nationaler Jugendpolitik und die Europäische Jugendstrategie müssen im Sinne guter Jugendpolitiken zusammengedacht werden.

Hierfür braucht es ein eigenständiges Förderprogramm Jugend (z.B. entsprechend einem weiterentwickelnden Jugend in Aktion-Programm) und eine_n eigene_n Kommissar_in ausschließlich für den Bereich Jugend.
Alle profitieren von einer starken und guten Jugendpolitik, sie muss ausprobiert, erlebt und erfahren werden.

Beschlussfassung des der 87. Vollversammlung des DBJR